Preisträger 2016

dokKa-Preis des Festivals
„Les Sauteurs“ (Those Who Jump) von Abou Bakar Sidibé, Moritz Siebert und Estephan Wagner, 55 Min.

dokKa-Preis für die Ausgezeichnete Hördokumentation
„Die Draufgängerin – Meine Tochter und Ich“ von Egon Koch

dokKa-Förderpreis
„Procedere“ von Simon Quack

Lobende Erwähnung
Zeltstadt-Projektionen von Shpresa Faqi

 

Jurybegründungen

dokKa-Preis des Festivals

„Les Sauteurs“ (Those Who Jump) von Abou Bakar Sidibé, Moritz Siebert und Estephan Wagner, 55 Min.

Nervöse Bildfragmente einer hand-held Kamera, hier ein vereinzelter Fuß, Plastikflaschen, ein Gesicht, flüchtige Augenblicke, die sich mit der Zeit ähnlich einem Puzzle zu Szenen verdichten. Szenen, die das Warten der Flüchtlinge in den Wäldern vor dem Zaun von Melila zeigen, die Vorbereitung auf den nächsten kollektiven Sprung über einer der bestgesicherten Grenzanlage der Welt. Einziger Gegenschnitt: die Wärmebildkameras zur Überwachung des Grenzzauns, auf denen die Flüchtlinge wie Mückenschwärme erscheinen.

Der Film überzeugt durch die Beharrlichkeit der Bilder, mit der Abou Bakar Sidibé den Camp-Alltag auf dem Berg Gourougou einzufangen sucht. In einer fast klaustrophobischen Verdichtung auf einen einzelnen Ort fokussiert der Film auf den Moment des kollektiven Sprungs. Eine radikale Perspektivverengung als Symbol der Obsession der Flüchtlinge, eines Tages die Grenze zu überwinden. Sisyphosartig wird man immer wieder auf den Berg zurückgeworfen, wartet, bis das Warten unerträglich wird, die subjektiven Eindrücke und Gedanken Abous zur eigenen objektiven Realität werden. Ein eigenwilliger Versuch über Angst und Hoffnung ist Moritz Siebert und Estephan Wagner mit „Les Sauteurs“ gelungen, ein einzigartiges Dokument unserer Zeit, ein Film, wo das „Draufhalten“ einer Kamera mal funktioniert.

 

dokKa-Preis für die Ausgezeichnete Hördokumentation

Die Draufgängerin – Meine Tochter und Ich von Egon Koch

Vater und Tochter: eine lange Zeit eines gemeinsamen Lebens, von Nähe und Distanz. Ein beinah tödlicher Drogenunfall stellt die Frage der Lebensperspektive der jungen Frau neu und ist für den Vater Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Vergangenheit mit den Mitteln des Tons. Aus langjährig aufgezeichneten Interviews mit seiner Tochter, aus Fragen und Antworten, wobei die Tochter erst gegen Ende selbst zur Fragenden wird, mit Kommentierungen und emotionenbildender Musik, entwickelt Egon Koch ein Hörstück, das sich der Form eines imaginären Gesprächs bei einem langsamen Spaziergang annähert. Das gelingt auch deshalb, weil die junge Frau souverän mit ihren eigenen Ausdrucksmöglichkeiten umgeht. Die Notwendigkeit von Abgrenzung und Ablösung wird deutlich. Der Vater äußert zwar seine Akzeptanz, aber seine zukünftige Position bleibt offen

 

dokKa-Förderpreis

Procedere von Simon Quack

Am Anfang von Simon Quacks Film steht ein Verbot, das die Redaktion “Recht und Justiz” der ARD, ob sie es will oder nicht, zu befolgen hat. Dieses Verbot lautet: “Du darfst die Gerichtsverhandlung nicht filmen.” Dieses Verbot erzeugt ein Archiv von Bildern, das sich Wesentlich durch den Umstand strukturiert, dass das, was gezeigt werden soll, nicht gezeigt werden darf. Auf diese Weise entsteht eine Art Nicht Bild Archiv, das die Requisiten der medialen Inszenierung und die Requisiten des Gerichtsschauspiels selbst enthält: stumme Richter, stumme Polizisten, stumme Angeklagte, stumme Verteidiger, Akten, Adler, Türknaufe, Namensschilder, Roben usw. Simon Quacks Verdienst ist es zunächsteinmal den Humor und die tiefere Philosphie dieses Bildmaterials wahrgenommen und für eine filmische Arbeit fruchtbar gemacht zu haben.

In Quacks Film begegnen uns auch die Selbstvergewisserungsformeln des Mediums Fernsehen selbst: der Schwenk etwa, oder auch der Zoom. Quack ordnet diese Formeln humorvoll seriell wiederholend hintereinander. Der immergleiche Schwenk aufs Gerichtsgebäude zum Beispiel. Wir spüren, dass das Medium in solchem Procedere sich seiner selbst vergewissert: “Ich schwenke, also bin ich.”

All diese Bilder indes sind keineswegs stumpf oder hohl. Vielmehr haben sie eine merkwürdig eigene poetische Kraft. Indem sie leer sind von Semantik, lassen sie die Dinge und die Menschen für einen Moment in ihrer Wensenhaftigkeit aufscheinen. So wird der langsame zoom auf die Türklinke zu einer tieferen Anerkennung des Gegenstandes selbst.

Simon Quack hat ganz auf die Kraft dieser kleinen und schwachen Bilder vertraut. Herausgekommen ist ein Film, der uns mit einer guten Portion Humor das Nicht Erzählen erzählt. Das ist wunderbar und die Jury möchte Simon Quacks mit diesem Preis ermutigen, in dieser Richtung fort zu schreiten.

 

Lobende Erwähnung

In der Kategorie Dokka Förderpreis möchten wir einen Förderpreis vergeben und eine künstlerische Arbeit lobend erwähnen.

Zeltstadt-Projektionen von Shpresa Faqi.

"Shpresa Faqi Arbeit "Zeltstadt Projektionen" ist eine sensible Annäherung an das Thema Flucht und Flüchtlinge. Die Arbeit nähert sich in reduziertem Gestus den in der Zeltstadt Kassel-Calden lebenden Menschen. Die Gesichter der Menschen sind in den Zeichnungen zumeist ausgespart und die Körper bleiben fragmentarisch. Auf diese Art und Weise maskiert die Künstlerin die im wahrsten Sinne des Wortes "Gezeichneten". Sie entzieht sie -und schützt sie- vor unserem Zugriff und Blick."