Die Preisträger des 9. dokKa

Preis für die ausgewählte Hördokumentation

Herrscher am Ende. Die verschollenen Tonbänder des Politbüros.
Lydia Heller und Johannes Nichelmann

Stadtrauschen, Sirenen in der Ferne, schwebende Klaviermusik, Erinnerungsfragmente – wie in einer Kamerafahrt mit akustischen Mitteln gleitet man zu Beginn des Features „Herrscher am Ende. Die verschollenen Tonbänder des Politbüros“ langsam hinein ins Geschehen, hin zu einem Moment zwischen Mauerfall und Auflösung der DDR, in dem Geschichte noch offen schien: Zur Schiedskommission der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Januar 1990. In einer über 12 Stunden dauernden Sitzung entschied ein parteiinternes Gremium damals darüber, ob 15 Mitglieder des gestürzten Politbüros noch in der Partei verbleiben dürfen. Haben sie den Sozialismus verraten? Wie privilegiert waren sie? Und warum hat niemand aufbegehrt?

Nach 32 Jahren sind die Tonbänder dieser Sitzung nun wieder aufgetaucht. „Die Partei war mein Leben“ heißt es darin etwa an einer Stelle. Und es wird auch sonst immer wieder klar: Hier geht es nicht nur um Geschichtsschreibung, sondern auch um Lebensgeschichten. Dazwischen Momente von Wut und Enttäuschung, Feigheit und Überlebenswillen, Entfremdung und Leidenschaft, aber auch scheinbaren Nebensächlichkeiten. Kleine Details, die vom großen Ganzen erzählen. Diesem herausragenden Materialfund stellt das Feature klug ausgewählte Expertenstimmen zur Seite, die immer neue Perspektiven aufmachen – und uns gemeinsam mit der Soundmontage in die Tiefenschichten dieses historischen Moments eintauchen lassen.

dokKa Nachwuchspreis

So oder So

Hannah Jandl, Eva Gemmer, Lea Tama Springer

Durch eine raffinierte Erzählstruktur verweben die drei Autorinnen im Film "So oder So" die Lebenswelten von 4 Jugendlichen aus zwei unterschiedlichen Gegenden Deutschlands. Ganz selbstverständlich nehmen wir als Zuschauerinnen Teil an Momenten im Freundeskreis und an den alltäglichen Herausforderungen der jungen Menschen. Wir erfahren von ihren Vorstellungen über ihr zukünftiges Leben und tauchen in ihre Gefühlswelt ein.
In athmosphärisch dichten Szenen, die filmisch sehr geschickt komponiert sind, sehen wir Emy, Emma, Wiebke und Titzian einmal so: wild und ausgelassen oder so. nachdenklich und sanft. Die vier Protagonistinnen machen uns auf wohltuende Art und Weise klar, dass sie in diesem Alter tatsächlich Ausserirdische sind. Sie geben uns beunruhigten Erwachsenen aber auch die Gewissheit, dass es so schon seine Richtigkeit hat und wir den jungen Menschen, auch wenn wir sie in dieser Übergangszeit des Lebens nicht verstehen können, durchaus vertrauen dürfen.

dokKa Preis der Stadt Karlsruhe

Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod

von Cem Kaya

Liebe, Sehnsucht, Erschöpfung, Traurigkeit, Enttäuschung, Wut, Lebensfreude:

die Musik, die die Gastarbeiter*innen seit Anfang der 1960er-Jahre aus ihrer türkischen Heimat mit nach Deutschland brachten, zeichnet ein emotional wechselvolles Bild des Lebens im Exil. So vielfältig, komplex, lebendig und mitreißend wie die Musik, die sich im Einwanderungsland bald transformierte und neu erfand, ist auch der Film, den Cem Kaya über dieses von der Mehrheitsgesellschaft ignorierte Kapitel türkisch-deutscher Zeitgeschichte gemacht hat.

„Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ montiert Archivaufnahmen aus 60 Jahren und Interviews mit Protagonist*innen zu einem dokumentarischen Essay, der bei aller Dichte einer Fülle von Themen, Musikstilen und tollen Menschen Raum gibt: von Liebes- und Trostliedern, politischen Protestsongs über Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus bis hin zu Distributionswegen, inzwischen verschwundenen kulturellen Orten und Medien und zuletzt musikalischen Visionen im All. Die Montage ist spielerisch, klug und voller Drive, die verschiedenen Ebenen greifen ineinander und kommentieren sich gegenseitig. In leidenschaftlicher Archivarbeit hat Cem Kaya einen Schatz geborgen, der direkt vor unseren Augen und Ohren lag.