dokKa Preisträger 2017

Der dokKa-Preis der Stadt Karlsruhe geht an den Film "Happy Happy Baby" von Jan Soldat.

Adult Babies. Männer mit Windeln, Schnuller und Bärenkostüm – doch wer nun erwartet, im eigenen Körper einen erhöhten Pulsschlag zu fühlen oder vor Scham zu erröten, fühlt sich um sein eigenes Verlangen nach Voyeurismus betrogen. Im 4:3 Format gedreht und mit langen, statischen Kameraaufnahmen konzentriert Jan Sodat die Aufmerksamkeit in seinem Dokumentarfilm ganz auf den Menschen, wie er in diesem Moment gerade ist und schafft einen reduzierten Raum, in dem eine tatsächliche Begegnung von Mensch zu Mensch möglich wird. Die Direktheit dieser Begegnung wirft einen hinter gesellschaftlich vorgefertigten Wahrnehmungsmuster und Bewertungskategorien und damit ein Stück weit hinter einen selbst zurück. Sie lässt ein Sehen zu, das gerade kein Schauen im Sinne eines Anschauens meint, das das Gegenüber unweigerlich zu einem Objekt macht, über das man in der Bewertung Macht ausübt. Bei einem solchen Sehen sprechen die Körper, die über ihre Positionen und Bewegungen in Spannung miteinander treten – sie erzählen von Nähe, Geborgenheit, Vertrauen, Hingabe. Dieser respektvolle Raum der Begegnung schließt einen selbst mit ein – er wahrt die Integrität und Würde der Personen, denen wir auf der Leinwand begegnen und auch von uns selbst, die wir diese Sequenzen sehen. Man ertappt diese Männer nicht bei etwas, das mit einem gesellschaftlichen Tabu belegt ist und muss sich ebenso wenig selbst in einem Gefühl wie Scham oder Angst ertappt fühlen. Mit dieser Poetik des Entzugs, des Entzugs von Vorstellungen und Gefühlen, die die eigentliche Erfahrung zu präfigurieren drohen, eröffnet sich eine Begegnung, die Raum lässt für neue Erfahrungen, die sich in diesem Moment in Resonanz mit dem eigenen Selbst generieren. Mit einem solchen Raum deutet Jan Soldat impliziert in Richtung einer ethischen Haltung, die angesichts eines Prozesses der Verhärtung von und einem Verschanzen hinter vorgefertigten Positionen, wie er sich zahlreichen Gesellschaften gegenwärtig beobachten lässt, Potentiale für ein Miteinander aufscheinen lässt, das sich an der jeweiligen Erfahrung selbst misst und damit einen tatsächlichen Dialog zulässt, ohne dass dies bedeutet, dass man diese Position für sich an- und übernehmen muss. Der Film endet mit einer solchen Utopie, wenn die Protagonisten selbstverständlich in einem Park auf Schaukeltieren wippen, Männer mit Windel, Schnuller und Bärenkostüm.


Der dokKa-Preis für die ausgezeichnete Hördokumentation
geht an "Papa, wir sind in Syrien" von Christian Lerch.

Die Hördokumentation von Christian Lerch erzählt von der Suche eines Vaters nach seinen zwei Söhnen. Beide Söhne haben sich dem IS angeschlossen und kämpfen irgendwo in Syrien für den sogenannten Heiligen Krieg.

Die Stärke und dichte Atmosphäre der Hördokumentation erwächst sicherlich aus dem Klangmaterial, das dem Autor Christian Lerch zur Verfügung stand: namentlich über WhatsApp geführte Audiodialoge zwischen dem Vater und seinen in Syrien befindlichen Söhnen. Auf intime Art und Weise geben das Weinen, Flehen und Bitten des Vaters auf der einen Seite und der in Klangfarbe und Rhythmik beinahe militärisch vorgetragene Sprechdoktus der Söhne auf der anderen Seite, Zeugnis einer Vater-Kind-Beziehung, die an einem existentiellen, ja beinahe finalen Endpunkt angekommen zu sein scheint. Der Autor Christian Lerch behandelt das Sprachmaterial mit großer Sorgfalt, indem er es schnitttechnisch bewusst nicht mit anderen Materialien wie Musik oder Atmo collagiert, sondern als reine Sprachfragmente in Beziehung setzt. Auf diese Weise entsteht eine Art Tableau, in das sich der Hörer in eine Art räumlichen Horchens einsenken kann. Ein Tableau, das Zeugnis gibt eines letzten aufbäumenden Versuchs nach Beziehung. Und wir spüren im Hörstück die Trauer um das Verlorengegangene und zwar auf beiden Seiten: beim Vater und bei den zum IS konvertierten Söhnen. Solch formal stoisch organisierte Struktur, die sich erst in den Wahrnehmungen des Horchenden zur Geschichte vervollständigt, kann nur Klang (und nicht Bild). Das Hörstück von Christian Lerch hat diese Chance erkannt und sensibel in eine radiophone Form übersetzt.

 

Der dokKa-Förderpreis Dokumentarfilm geht an den Film "Bruder Jakob" von Eli Roland Sachs.

Der Filmemacher Johan von der Keuken bezeichnete das Kino als "das Abenteuer eines Auges, als den Ort, wo Filme Dinge sichtbar machen, die man so noch nicht gesehen hat".

Über gesprochene Briefe, erzählte Träume und immer längere Interviews zeigt uns der Filmemacher Eli Roland Sachs seine sehr persönliche filmische Annäherung an seinen ihm fremd gewordenen Bruder Jakob. Die Filmkamera wird zum Dialogpartner zwischen den beiden. In intensiven und sensiblen Gesprächen ergründet der Regisseur die religiöse und spirituelle Sinnsuche seines zunächst zum Islam konvertierten Bruders. Dabei verfällt der Film nicht in stereotype mediale Diskursformen über den Islam. Der Film "Bruder Jakob" zeigt sehr unprätentiös und respektvoll eine Auseinandersetzung mit dem Wesen und den Gefahren von Religion und gibt einen einmaligen und bisher nicht gekannten Einblick in diese Thematik.

 

2. KurzDoku Wettbewerb
Gewonnen hat Susanne Franzmeyer mit ihrem Stück "Freier Fall". Drei Beiträge teilen sich den zweiten Platz: "Kein Blut sehn" von Tom Heithoff, "Was kommt" von Anja Penner und "Es war Nacht, in Berlin" von Johannes S. Sistermanns. Herzlichen Glückwunsch!

Die Gewinnerstücke und alle eingereichten Beiträge stehen auf www.dokublog.de zum Anhören. In der Jury saßen: Carmen Beckenbach, Karin Hutzler, Walter Filz und Nils Menrad.